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wildlife management 1993-95

von Christoph Dosswald

 

In New York ein Fahrrad zu benutzen, ist nicht nur anachronistisch, sondern ganz einfach gefährlich. Im Big Apple regiert, genauso wie aufallen Straßen der Neuen Welt, das ungeschriebene Fortbewegungsgesetz des Stärkeren, also dasjenige des Automobils.

Fußgänger und Radfahrer bekleiden hier, wo sich die Mobilität zum kompetitiven End-zeitspiel auswächst, nur eine marginale Rolle. Die Perspektive wird geprägt von Medienbildern und dem Blick aus dem Auto. Wo die Realität via Monitor in die gute Stube übertragen wird, da verliert sich sukzessive das authentische Verhältnis zur Natur. Landschaft und Natur werden, wenn überhaupt, nurmehr aus touristisch-idealisierter Perspektive oder in stereotyp-medialer Aufbereitung wahrgenommen. Alle Spielarten, welche zwischen der urbanen und der ländlichen Lebenswelt existieren, landen hingegen rezeptionsmäßig in der Grauzone.

Genau dort befindet sich das bevorzugte Arbeitsfeld von Felix Stephan Huber. Die großformatigen, meist in Schwarzweiß-Fotografie gearbeiteten Werke thematisieren gezielt jene Bereiche der Realität, die sich am Rande der menschlichen Zivilisation

und ihrer normierten Rezeption befinden. Im Gegensatz zur grassierenden Oberflächenaffirmation nehmen sie eine Optik ein, die dem allgemeinen Konsum- und Mobilitätskult seine randständige Schattenseite entgegenhält – Hubers Werke sind eigentliche Dokumente des Marginalen. Mit lakonischer Genauigkeit hält er all das fest, was der Normperspektive entgeht, was nur allzugerne übersehen wird: Tote Insekten, leere, weite Landschaften mit tiefem Horizont, Flughafenfingerdocks, ein verlassener Gehsteig, zuwachsende Schutthalden, Hydrokulturen in Verwaltungsgebäuden, Passagiere in einem Aufzug.

Der aktuelle Bildzyklus Wildlife Management wurde im Laufe eines Jahres in der Umgebung von New York realisiert. Ausgestattet mit einer handlichen Minox, einem Fahrrad und einer Landkarte hat der Künstler sieben Expeditionen zu den »weißen Flecken« unternommen, jene Zonen besucht, die der offiziellen Kartographie keine Bezeichnung wert sind. Huber bezeichnet diese Reisen als »Erkundungstour vom Zentrum in die Peripherie«, als gezielte Suche nach den »Weichteilen im urbanen Raum« und wandelt dabei auf den Spuren von Robert Smithson, der in den sechziger Jahren in demselben Gebiet zwischen Passaic- und Hackensack-River das Rohmaterial für seine romantisch-apokalyptischen Fotos von Industrielandschaften vorfand.

Heute hat die Stadt die damaligen Grenzen gesprengt. Die ehemals wild wuchernden Schutthalden und Industriegelände werden allmählich renaturalisiert, verwandeln sich in der Terminologie der Politiker zu sogenannten »Wildlife Management Areas« – alleine schon das Zusammenbringen von zwei sich derart widersprechenden Begriffen wie »Natur« und »Management« verweist auf den zweideutigen Charakter dieser Idee, Huber dokumentiert in feldforscherischer Manier mit seinen Bildern diese übergangssituation. Seine Methode ist eine dokumentarische. Zwar verfaßt er genaue Wegskizzen seiner Bildstudien, zeichnet in den Straßenkarten präzise den Ablauf der Aufnahmepositionen ein und läßt manchmal auch die Aufnahmezeit im Bild erscheinen. Doch die Montage der Einzelbilder zu großformatigen Schwarzweiß-Panoramafotos zielt nicht auf partikuläre Erkenntnis, sondern auf ganzheitliches Wahrnehmen. Nicht das Abbilden von eindringlichen Sujets wird forciert, sondern deren ästhetische überhöhung. Indem Huber die Blow-ups ungerahmt an die Wand pinnt und mit einem groben Schrubber auf dem Atelierboden entwickelt, verleiht er ihnen einen malerisch-provisorischen Charakter, bricht damit den dokumentarischen Bildgehalt vollends.