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A - SIDE Galerie Peter Kilchmann, Zürich, Dezember 1999

Galerie Otto Schweins, Köln, Mai 2000

Installationsansicht Galerie Otto Schweins

Köln, 5.Mai – 17.Juni 2000

Presseinformation zur Ausstellung "a-side"

"a-side" ist ein azentrisches Arrangement aus grossformatigen Schwarz-Weiss-Kopien abfotografierter Wohnblockanlagen, kleineren Hochglanzfotos sattgrüner Naturausschnitte und auf dem Boden plazierter Fernseher, auf denen mit eintönigem sound unterlegte Videoloops laufen. Die über mehrere Papierbahnen hinweg zusammengesetzten Kopien sind teilweise direkt an der Wand befestigt, teilweise an schmalen stellwandähnlichen Holzrahmen festgeklebt. Gerade diese verschachtelt im Raum montierten filigranen Paravents erzeugen eine provisorische Bühnenhaftigkeit. Als Kulissen fungierend, lassen sie den Ausstellungsraum zum Schauplatz werden. Durch ihr räumliches Versetztsein entsteht ein unerwarteter Ort, der nicht wirklich abgeschlossen ist, sondern überall Durchblicke erlaubt, auch räumliche Freistellen lässt. Eine multiperspektivische Blickrichtung wird angeboten. Der ungelenkte Blick des Betrachters wird zum tastenden, schweifenden Blick zwischen den Kulissen. Gesamtsicht und Einzelsicht wechseln einander ab. Einzelne Fotos können ins Blickfeld geraten, um im nächsten Moment wieder durch die Endeckung von Neuem - beispielweise den hinter den Paravents leicht versteckten Fernseher - abgelöst zu werden. Irritierend wirkt dabei auch das Wechselspiel der verschiedenen Oberflächenästhetiken von Mattscheibe, Hochglanzfoto und Kopie. Alle drei Medien zeigen Ansichten von Orten, Umgebungen, die der Betrachter nicht verorten kann, da sie in ihrer jeweiligen Ausschnitthaftigkeit allgemeinen Bekanntheitsgrad besitzen und doch keine spezifische Topografie beschrieben ist. Huber schafft eine artifizielle Raumsituation, die in ihrer fragmentarischen Zusammengesetztheit merkwürdig wirkt, gleichzeitig verstörend/ verwirrend und anziehend. Man kann sich nicht so recht zurechtfinden. Eine unwirkliche Atmosphäre, obwohl tatsächliche Orte präsentiert sind. Denn der Künstler rekreiert im Medium der Kunst von ihm real vorgefundene Orte, entwirft dabei aber ein gebrochenes Panorma, in dem die einzelnen Elemente ebenso autark wie zusammengehörend erscheinen.

"a-side" ist wie eine Spurensuche nach jener örtlichen Schnittstelle zwischen urbanem Raum und angrenzender Natur, die der Alltagsblick höchstens streift. Dabei markiert gerade das Marginale des Ortes, an dem sich in Hochhäusern konzentrierte Zivilisation ausdünnt und achtlos Natur beginnt, die noch von städtischen AuslŠufern wie Kanälen und Bahntrassen durchzogen ist, den künstlerischen Fokus. Dieser indifferente Ort - dieses Mal sind es Randgebiete Berlins - bildet einen ästhetischen Bruch, wo industriell-städtische Umwelt in einen anderen Aggregatzustand übergeht, in dem Natur zwar wieder anwesend ist, jedoch nicht in dynamischer, sondern in mechanisierter Form. Die räumliche Randzone wird zur seelisch-geistigen Aufbruchstelle.

Die grossformatigen, leicht unscharfen und von grösserer Distanz aufgenommenen Schwarz-Wei§-Kopien, "dokumentarische" Bestandsaufnahmen von Wohngebieten, entfalten in ihrem Bezogensein auf die viel kleineren, in Hochglanzqualität präsentierten Farbfotos ein dialektisches Spiel. In ihren eng gefassten Ausschnittswinkeln bauen diese die Illusion einer natürlichen Gegenwelt auf. Realität und Ideal, empirische Wirklichkeit und Phantasieraum treten in einen Dialog. Das unbemerkte Randgebiet generiert zum Vorstellungsraum ganzheitlicher Sehnsüchte nach einem Parallelismus von Natur und Geist, nach Identität. Doch das Ideal wird als blosse Simulation, als eine von unendlich möglichen Wirklichkeitskonstruktionen dechiffriert. Nicht nur der Blick auf die Natur aus dem parkenden Auto heraus verdeutlicht die Flüchtigkeit des Erlebens. Fragmentiert erscheinen beide Wirklichkeitsebenen, das Gesamtbild der Gegend gibt sich eben nirgendwo zu erkennen. In ihrer Fragmentierung relativieren sich die beiden Blickwinkel nicht nur gegenseitig und nivellieren etwaige Prädominanzansprüche, sondern verdeutlichen die Unmöglichkeit, Welt als Ganzes noch zu fassen zu bekommen. Vielmehr stellt sich die Frage nach der Verlässlichkeit von Sinnes- und Bildinformationen. In der Konfrontation von Realität und fiktionalem Vorstellungsraum wird die Fluidität von Wahrgenommenem sichtbar. Dabei fungiert die Form des Fragments - durchaus im Sinne romantischer Kunstvorstellung - in erster Linie als Denkanstoss, weniger als geronnenes Erkenntnismoment.

Die Videoanimationen eröffnen dann eine dritte Ebene von Wirklichkeitskonstrukten. Hier sind Realaufnahmen mit animierten Figuren, die sich Huber aus im Internet zugänglichen Games herauskopiert hat, kombiniert. Die endlosen Loops eingeschränkter Bewegungsabläufe vor abgefilmten, real existierenden Orten erzeugen eine äusserst realistische Kunstrealität, die in ihrer Virtulität "echter" zu sein scheint als in der Phantasie imaginierte Seinszustände, wie sie die Farbfotos anbieten. Dem Spiel mit drei Möglichkeiten von Wirklichkeitsaneignung entspricht die unterschiedliche künstlerische Medien kombinierende Präsentationsform der Installation.

Längst haben sich festumrissene Wirklichkeitsmodelle aufgelöst. Als Konsequenz der damit einhergehenden Entgrenzung der klassisch-idealistischen Vorstellung des Individuums bleibt die Osmose des Ich mit diversen Teilwelten, die ihm der Mšglichkeit nach - virtuell - alle offen stehen. IdentitŠt ist zu einem work in progress geworden, auch wenn die Sehnsucht nach Einheit als Aporie bestehen bleibt. Status quo ist eine permanente Transformation, oder besser Metamorphose, bei der Realität, Fiktion und Simulation gleichberechtigte Teilsysteme des Versuchs einer Neudefinition von Wirklichkeit darstellen. Hier kehrt sich humanistische Tradition um, nicht das Gleichbleibende, das Transitorische und Vorläufige ist Wirklichkeit. Versteht man Ironie nicht im landläufigen Sinne, sondern als distanziertes Bewusstsein, das gerade aus der Distanz ein Bewusstsein für die Relativität jeglichen Erkennens und Wahrnehmens hat, kann man Hubers Arbeiten als ernsthaft ironisch verstehen. Der poetische Blickwinkel der Farbfotos beschreibt das romantische Weltgefühl als Leerstelle. Idealität als identitätsstiftendes Moment ist nur noch Simulation, die jedoch zur unverzichtbaren Reflexionsebene innerer Zustände wird. Die fragmentierten Ortsbeschreibungen sind eine treffende Metapher modernen Lebens.

Jutta Voorhoeve

Installationsansicht Galerie Peter Kilchmann

Zürich, Dezember 1999







Fotos
lfocolor prints
01-23_160x125 cm

05-02_161x125 cm

04-21_125x230 cm
Ilfocolor prints
03-31_125x160 cm

03-24_125x160 cm
sw
Fotocopien

01-27_178x432 cm

01-01_178x147 cm

13-33_178x240 cm

14-02_178x218 cm
sw
Fotocopien

14-07_178x260 cm




Leuchtkästen
Ilfocrome clearfilm
06-19_80x125 cm

06-22_80x125 cm

06-28_80x125 cm
Ilfocrome clearfilm
06-29_80x125 cm

06-32_80x125 cm